Was können die Themen einer kritischen Informatik sein?

Kritik beginnt immer mit der gefühlsmäßigen und sachlichen begründeten Ablehnung bestimmter Erscheinungen in der Praxis: "So was will ich nicht haben!" Die erste Frage, die ich mir dann stelle, ist: "Warum ist das so, was sind die Ursachen?" Häufig wird nun auf die fehlende Berücksichtigung der Folgen des eigenen Handelns als Informatiker/in verwiesen. In der Ausbildung würden die angehenden Absolvent/inn/en zu wenig über die gesellschaftliche Einbettung der Informatik erfahren - das bißchen Datenschutz sei zu wenig. Diese Sicht ist berechtigt, denn auch ich halte die Ausbildung für zu einseitig. Um dem zu begegnen, haben sich eine Menge Leute Gedanken um die Verantwortung der Informatikerin oder des Informatikers gemacht. Beim Einsatz von Informatik für militärische Zwecke wird dies besonders deutlich. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund hat sich Anfang der 80er Jahre das Forum Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) gebildet. Auch die Standesvereinigung, die Gesellschaft für Informatik (GI) hat auf Initiative der Fachgruppe Informatik und Gesellschaft sich Gedanken gemacht und "Ethische Leitlinien" verabschiedet. Das hört sich alles ganz prima an, wobei man die Bedeutung dieser Aktivitäten nicht überbewerten darf. Jetzt kommt das dicke...

...ABER:

Diese Ansätze gehen alle unausgesprochen davon aus, daß mit der Informatik in ihrem fachlichen Kern alles stimmt. Die Probleme fangen also erst an, wenn Menschen - zugespitzt - die "reine" Informatik in der Wirklichkeit anwenden. Diese Sicht schiebt die Verantwortung zu 100% auf den einzelnen Menschen. Ein gesellschaftliches Problem, denn darum handelt es sich nämlich, wird auf diese Weise individualisiert. Ich spreche damit nicht gegen individuelle Verantwortung, doch Verantwortung kann ich immer nur im Rahmen meiner Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen. Ich nehme meine hier mit dieser Web-Site Verantwortung wahr, in dem ich darauf hinweise, daß diese individualisierte und personalisierende Herangehensweise nicht hilft. Sie überfordert die/den Einzelne/n und verdrängt, daß die Informatik in ihrem fachlichen Kern faul ist. Es ist eine Illusion anzunehmen, es gäbe hier die "reine Informatik" und dort die "dreckige Realität". Die Informatik als wissenschaftliche Disziplin wird durch Interessen geleitet. Keine Wissenschaft, keine Theorie ist neutral, sondern wird aus bestimmten Gründen entwickelt und für bestimmte Zwecke gebraucht.

In der Informatik ist die Situation fatal und besonders schwierig. Fatal ist, daß die Informatik kein Fundament hat, auf dem sie aufbaut. Eine Wissenschaft zeichnet sich durch die Grundbegriffe aus, die sie konstituiert und von denen sie ausgeht. Auch in der Informatik gibt es Versuche, solche Grundbegriffe zu definieren. Pech ist nur, daß es zu einem Grundbegriff, wie etwa der "Information", mindestens 20 verschiedene Definitionen gibt. Es gibt also eigentlich kein einheitliches Verständnis, was man da eigentlich tut, nur womit man es tut, darüber ist man sich einig: mit dem Computer. Doch ein Gerät konstituiert keine Wissenschaft!

Schwierig wird die ungeklare Situation der Informatik, weil es scheinbar gar nicht notwendig ist, Klarheit zu schaffen. Die Informatik "funktioniert" auch so. Der Maßstab ist der Profit, und der kann mit der Informatik noch allemal realisiert werden. Ist das "Jahr-2000-Problem" nicht ein raffiniert eingestiltes Geschenk an die Informatik? Wieviel Menschen, die sich mit einem Schrott-Betriebssystem eines Monopolisten herumärgern müssen, stehen in Lohn und Brot? Es gibt genug zu tun, lassen wir also das Nachdenken? Gleichzeitig ist die Rede von der Krise der Informatik als Krise der Softwareentwicklung schon bald 30 Jahre alt. Sie kehrt genauso immer wieder wie die Verkündigung der endgültigen Bewältigung der Krise. Das alles macht eine kritische Beschäftigung mit dem Thema schwierig:

  • Auszubaden haben es die Individuen, ihnen wird der ethische Kodex auferlegt.
  • Die Informatik-Industrie boomt ohne Ende, sie profitiert von jedem neuen Fehler, den sie schafft.
  • Grundsätzliches Nachdenken ist anstrengend und das Ende offen.
  • Wer grundsätzlich nachdenkt, bekommt Ärger. Es gibt immer Leute, die sich angemacht fühlen.

Keine gute Ausgangsposition, aber es geht. Ich stelle auf der Web-Site eine Reihe von Texten vor, die das zeigen. Der Zugangschlüssel zu einer kritischen Informatik sind die Grundbegriffe. Unbescheiden gesagt geht es darum die nicht vorhandenen Grundbegriffe der Informatik zu erschaffen. Dabei kann es nicht darum gehen neben die zwanzigste Definition der "Information" die einundzwanzigste zu stellen. Das Definieren, also die Art, wie man zu den Grundbegriffen kommt, muß ersetzt werden. Wie das gehen kann, haben glücklicherweise schon andere für uns erfunden.

Begriffe

Die Themen der kritischen Informatik sind die Begriffe der Informatik. Nicht jeder Begriff, sondern die Begriffe, auf denen die Informatik aufbauen kann, die sie immer wieder braucht, von denen sie andere Begriffe ableitet. Diese Grundbegriffe, die die Wissenschaft Informatik konstituieren, nenne ich Kategorien (siehe Vorarbeit). Da der Prozeß ein offener ist, kann man am Anfang nicht sagen, um welche Begriffe es insgesamt gehen wird. Man muß erstmal das nehmen, was da ist, und dann neu zum Leben erwecken. Ich denke, es geht im Kern um folgende Begriffe:

  • Information
  • Algorithmus

Das soll alles sein? Ja, erstmal schon. Sind diese Begriffe stabil, lassen sich andere Begriffe in Relation zu diesen Begriffen leicht klären (etwa Daten zu Information). An beiden Begriffen habe ich mich bereits versucht. Wie ich dabei vorgegangen bin, beschreibe ich an anderer Stelle. Das Ergebnis ist ziemlich überraschend. Es stellt zumindest so ziemlich alles, was ich an Fassungen kenne, in Frage - nicht nur in Details, sondern sehr grundlegend und mit weitreichenden Konsequenzen. Aber lest selbst.